Die Villa Flora – Ein Gesamtkunstwerk
Die Villa Flora ist nicht einfach ein Kunstmuseum, sondern ein Ort, an dem die Liebe zur Kunst gelebt wurde und bis heute wird. Das Ehepaar Hahnloser verwandelte die Villa zusehends in ein Zuhause für die Kunst – und dies sprichwörtlich auf allen Ebenen. Hier verbinden sich Architektur, Design und Malerei zu einem harmonischen Ensemble, und so besteht – seit nunmehr hundert Jahren – die Villa Flora als ein Gesamtkunstwerk.
Architektur und Raumgestaltung
Mit dem Einbau des Salons 1908 setzten die Hahnlosers ein Statement. Der Raum verband nicht einfach den Nebentrakt mit dem Haupthaus, sondern er war ein Bekenntnis zu zeitgenössischer Architektur und Raumgestaltung. Entworfen hatte ihn der mit dem Paar eng befreundete Architekt Robert Rittmeyer und dabei insbesondere auch die kunsthandwerklichen Elemente wie Lampen und Tapeten mitgestaltet. Dies tat er in engem Austausch mit seinen Auftraggebern, wobei insbesondere Hedy Hahnloser selbst gestalterisch aktiv war. Sie lieferte etwa die Entwürfe für die Tapete, die heute noch grösstenteils original ist. Vor dem Einbau in die Flora war der ganze Raum im Rahmen der Ersten Zürcher Raumkunstausstellung öffentlich präsentiert und als «Meisterwerk» gefeiert worden.
Robert Rittmeyer gehörte zu den progressiven Kräften der Schweizer Architektur. In Winterthur prägte er mit seinem Büro Rittmeyer & Furrer das Erscheinungsbild der Stadt und zeichnete auch für den Bau des Kunstmuseums verantwortlich, das 1916 eröffnete. Sein Credo entsprach dem der Moderne: Ein Haus sollte von innen nach aussen gebaut werden, das heisst, seine Innengestaltung war ebenso wichtig wie das äussere Erscheinungsbild. Funktion und gute Gestaltung sollten nicht der Repräsentation und dem Schein geopfert werden.
In ganz Europa kursierten damals neue Ideen, wie das Leben gestaltet werden sollte. Verschiedene Reformbewegungen boten seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neue Denkanstösse, die sich kritisch mit der Industrialisierung auseinandersetzten und eine Rückbesinnung auf Natur und Handwerk forderten. Auch in Architektur und Produktgestaltung schlugen diese Strömungen einen neuen Ton an und lieferten Vorschläge, wie Alltagsgegenstände und Lebensräume neu gedacht werden konnten. In England waren es William Morris und die Arts and Crafts-Bewegung, in Deutschland erschien die Zeitschrift Die Jugend – die dem Jugendstil seinen Namen geben sollte –, und mit avantgardistischen Gruppierungen wie der Secession in Wien oder der Darmstädter Künstlerkolonie blühten in ganz Europa neue Ideen auf, die einen ganzheitlichen Ansatz verfolgten. Sie gestalteten Architektur, Möbel, Kleidung und Gebrauchsgegenstände unter diesen neuen Vorzeichen und verbanden sie dadurch miteinander.
Was Rittmeyer und das Ehepaar Hahnloser bei der Villa Flora – und später auch im Kunstmuseum – umsetzten, entsprach diesem neuen Gedankengut: stilistische Einheit und schlichte Gediegenheit. In der Winterthurer Gesellschaft stiess Rittmeyers Architektur sowohl auf Interesse als auch auf Unverständnis, denn seinem Stil, so die Einschätzung vieler, mangle es an dem Prunk und der Üppigkeit, dank denen sich die Oberschicht von der übrigen Bevölkerung absetzen konnte.
Hedy Hahnloser hatte sich stets über das Zurschaustellen von Geld und Reichtum lustig gemacht. Sie war selbst in einem prunkvollen Haus, der Bühlhalde, aufgewachsen. Im direkten Vergleich verdient die Flora kaum den Beinamen Villa, sondern wirkt geradezu bescheiden. Weniger bescheiden indes waren ihre Ansprüche an gutes Handwerk und an die Kunst. Schon in jungen Jahres begeisterte sie sich für Produktgestaltung und war selbst schöpferisch tätig, wovon die Inneneinrichtung der Flora bis heute Zeugnis ablegt.
Design
Hedy Hahnloser zeigte schon früh Interesse an Kunst und Kunsthandwerk oder, wie man es heute sagen würde: an Design. Sie hatte zunächst – gegen die Widerstände ihres Vaters – eine Karriere als Malerin angestrebt und war dafür nach München gegangen. Dort kam sie mit den neuesten Strömungen der Raumkunst in Kontakt. Schon bald verlegte sie ihre kreativen Aktivitäten in diesen Bereich und gestaltete verschiedenste Gegenstände von Kissen und Kleidern bis hin zu Tapeten und Tischtüchern. Ihren Kindern baute sie ein Puppenhaus, für die Rettung des Schlosses Wülflingen kreierte sie ein Holzmodell zum Verkauf, und sie war Mitglied bei der Künstlervereinigung Zürich. Für ihre kreative Tätigkeit richtete sie sich im Anbau der Villa Flora eine eigene Werkstatt ein. Sie beschäftigte sich insbesondere mit Stoffen und Stickereien. In Hunderten Entwürfen gestaltete sie Ornamente und Designs, die von geometrischen bis floralen Formen geprägt waren.
Ihre Arbeiten wurden an Jahrmärkten feilgeboten, später auch in lokalen Läden vertrieben. Als sich die Gelegenheit bot, ihr Zuhause baulich zu erweitern und damit im Inneren neu zu kreieren, überliess sie dies nicht den Architekten – den Männern –, sondern legte selbst Hand an. So zeugt die Flora noch heute von der ungemein kreativen Arbeit Hedy Hahnlosers und ihrem gestalterischen Geschick.
Inspiration für ihre kunstgewerbliche Tätigkeit erhielt sie durch die Freundschaft mit Robert Rittmeyer, aber auch von ihrer ebenfalls kreativen Freundin Julie Jung-Deutsch und dem umtriebigen Kunstgewerbler Jules de Praetere, der mit «revolutionärer Gewalt», wie es die NZZ formulierte, die Kunstgewerbeschule in Zürich reformierte und später Gründer und Direktor der Basler Mustermesse wurde.
Eine wichtige Rolle spielte auch Hedys Cousin, Richard Bühler. Dieser war selbst gestalterisch aktiv und setzte sich aktiv für das Kunstgewerbe ein. So gehörte er zu den Mitinitianten des Schweizerischen Werkbunds, dessen erster Präsident er wurde. Daneben beschäftigte sich Bühler auch mit der Gartenkunst und half Hedy tatkräftig, als diese sich anschickte, den Garten der Flora neu zu gestalten. Der vermögende Bühler war aber auch ein grosser Kunstfreund und Sammler. Lange Jahre präsidierte er den Kunstverein, dessen künstlerische Ausrichtung er zusammen mit Georg Reinhart steuerte. Massgeblich war insbesondere die Malerei, die Hedy und Arthur Hahnloser in ihrer Flora zusammentrugen: Das Neue und Schöne, das Mutige und Kreative fand so in Winterthur in wechselseitigem Austausch an verschiedenen Orten seinen Platz – und nirgends wurde es harmonischer in ein Gesamtkunstwerk gegossen als in der Villa Flora.
Übrigens
Hedy Hahnloser liebte frische Blumen. Stets stand in ihrem Daheim ein Blumenstrauss – meistens vor dem Blumenstillleben von Redon.