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Kunstmuseum Winterthur:

Die Geschichte der Villa Flora

Die Villa Flora ist ein besonderer Ort. Hier wird Kunst von höchster Qualität in einem historischen Ambiente erlebbar. Die Einzigartigkeit dieses Hauses liegt im Zusammenspiel zwischen Architektur, Design und Kunstsammlung. Noch heute ist die Flora der Rahmen, für den viele Kunstwerke geschaffen wurden – und das Haus selbst wird so zum Kunstwerk.

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Hedy Hahnloser gemeinsam mit Aristide Maillol an einer Seepromenade

Die Geschichte der Flora ist die Geschichte von Arthur und Hedy Hahnloser-Bühler, die zwischen 1907 und 1936 eine Sammlung französischer und schweizerischer Kunst von aussergewöhnlicher Qualität aufbauten. Der Fokus der Sammlung liegt auf Graphik, Skulptur und Gemälde von Künstlerinnen und Künstlern des Postimpressionismus, der Nabis und Fauves, die zu den bedeutendsten Künstlern der Zeit um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zählen. Eine weitere Besonderheit dieser Sammlung besteht darin, dass das Sammlerehepaar mit vielen der Künstler in freundschaftlicher Verbindung stand und nicht wenige von ihnen in der Flora ein- und ausgingen, ja es entstanden sogar ein paar Werke hier vor Ort.

In Winterthur und darüber hinaus motivierte das Sammlerpaar mit ihrer Begeisterung andere Kunstliebhaber zu eigener Sammeltätigkeit. Im Kunstverein setzte es sich engagiert für zeitgenössisches Kunstschaffen und für ein neues Museum ein. Winterthur wurde so früh zu einem schweizerischen Zentrum postimpressionistischer Kunst.

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Die frisch renovierte Villa Flora 2023.

Foto: © Georg Aerni

Nach dem Ableben des Sammlerehepaars wurde die Sammlung unter den beiden Kindern aufgeteilt, wobei der Anteil von Lisa in der Flora verblieb. Mit dem Einrichten einer Stiftung und der Eröffnung eines Museums gegen Ende des 20. Jahrhunderts wurde das Ensemble aus Kunstsammlung und Architektur der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das jüngste Kapitel wird mit der Wiedereröffnung 2024 geschrieben, in dem die Villa Flora als Teil des Kunst Museum Winterthur auch für die Zukunft gerüstet ist.

Anfänge – Von der Klinik zum Wohnhaus

Kurz vor der Jahrhundertwende beziehen die Frischvermählten Hedy und Arthur Hahnloser die Villa Flora und richten im östlichen Anbau eine Augenklinik mit Operationssaal, Konsultations- und Patientenzimmer ein.

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Arthur Hahnloser mit verkleideten Patienten seiner Augenklinik vor der Villa Flora

In Winterthur fehlte es an einer medizinischen Einrichtung, die eine stationäre Behandlung der Patienten ermöglicht hätte – bei Hahnlosers wurde dies möglich. Wie für das Haus kam auch für diese kostspielige Einrichtung Hedy mit ihrem Vermögen auf. Sie half auch tatkräftig mit und kümmerte sich um die stationären Patienten, während Arthur die Operationen besorgte. Weil er auch Menschen aufnahm und behandelte, die sich das kaum leisten konnten – Arbeiter und Bauern – und er ihnen oftmals die Kosten erliess, war er bald auch bekannt als «der Augenarzt der Armen».

Es war eine Erlösung, als die Klinik 1907 ausgelagert werden konnte. In Winterthur war ein Privatspital eröffnet worden, in das Arthurs Augenklinik überführt werden konnte. So wurde nicht nur die anstrengende Arbeit, die oftmals ins Privatleben des Ehepaars eindrang, ausgelagert, sondern es wurden auch neue Räume frei. Die Hahnlosers schickten sich an, ein Gesellschaftszimmer einzubauen, und zwar nach den neuesten Standards.

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Der Salon mit dem Kirschbaum von Hodler und der Badenden von Vallotton. Beide Bilder waren die jeweils ersten Erwerbungen dieser Künstler

Der Salon war ein Prunkstück. Er war von Hedy Hahnloser zusammen mit Robert Rittmeyer entworfen und auch gebaut worden. Das ganze Ensemble war vor dem Einbau an einer Raumkunst-Ausstellung öffentlich präsentiert worden und stiess in der Fachwelt auf begeisterte Reaktionen. Es war in dieser Zeit, als sich die Hahnlosers viele Gedanken um die Gestaltung ihres Zuhauses machten, und es lag nahe, dass auch die Wände ihren Schmuck erhalten sollten: Sie mussten also ein paar Gemälde kaufen.

Aufnahme der Sammeltätigkeit

In Winterthur und auch bei den Hahnlosers herrschte um 1900 ein Kunstgeschmack vor, der sich vor allem an deutscher Malerei orientierte: Dunkle Töne, stimmiges und zurückhaltendes Kolorit und eine akademische, naturnahe Malweise waren dabei die Parameter. Für das, was in Frankreich damals passierte, die Nachbeben des Impressionismus, hatte man hierzulande kein Verständnis. Noch nicht.

Hodler - Kirschbaum 1906

Ferdinand Holder, Der Kirschbaum, 1906

Privatbesitz

Im engen Austausch mit ihrem Freund, dem Maler und Kunsthändler Carl Montag, der damals in Paris lebte, wandelte sich aber zusehends der Blick auf die Kunst. Nach einem Besuch beim Biberister Sammler Oscar Miller, der viele avantgardistische Gemälde vor allem Cuno Amiets besass, und nach dem Besuch einer Hodler-Ausstellung in Interlaken wagten sie sich bald in neues Terrain vor. Im August 1907 fuhren sie nach Stampa und besuchten dort Giovanni Giacometti. Bei ihrer Heimkehr hatten sie einen neuen Freund gewonnen und ein neues Gemälde gekauft, ein Selbstbildnis, das eben erst entstanden war und noch nach frischer Ölfarbe roch. Es war der Auftakt in die Moderne.

Noch im selben Jahr fuhren die Hahnlosers zu Ferdinand Hodler nach Genf, und auch bei ihm kauften sie ein Bild, einen kleinen Kirschbaum. Mit diesen Ankäufen aus der Schweizer Avantgarde waren die Weichen gestellt, und bald waren ihre Augen auch offen für die französische Moderne.

Künstlerfreundschaften

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Félix Vallotton, Selbstbildnis, 1905

Kunsthaus Zürich

Durch ihre Leidenschaft für das Kunsthandwerk stand Hedy Hahnloser bereits früh in Kontakt mit Kunstschaffenden. Einer von ihnen war Carl Montag, ein junger Winterthurer Maler, der in Paris lebte. Er war ein früher Verfechter der französischen Moderne und machte seine Freunde zu Hause in der Schweiz auf die neuesten Strömungen aus Frankreich aufmerksam. Zunächst stiess dies jedoch noch auf Skepsis, auch bei den Hahnlosers. Dies änderte sich aber zusehends. Als Hedy und Arthur 1908 nach Paris fuhren, sorgte Montag für erste Kontakte, und so betraten die beiden damals zum ersten Mal das Atelier von Félix Vallotton, von dem sie auch gleich ein Bild kauften. Es war der Auftakt zu einer lebenslangen Freundschaft und zu einer regen Sammeltätigkeit.

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Pierre Bonnard beim Zeichnen. Das Foto hat wahrscheinlich Arthur oder Hedy Hahnloser geschossen.

Neben Vallotton begeistern sich die Hahnlosers auch bald für die anderen Maler aus der Künstlergruppe der Nabis. So lernten sie auch Pierre Bonnard, Edouard Vuillard und Ker-Xavier Roussel kennen und erwarben Werke von ihnen. Ein anderer für sie sehr wichtiger Franzose war Pierre Renoir. Er galt damals als der Vollender des Impressionismus und wurde in ganz Europa verehrt, sogar in Deutschland. Auch in der Flora sah man in ihm den Wegbereiter von Bonnard und seinen Gefährten, und entsprechend hielt er prominent Einzug in die Sammlung der Hahnlosers und anderer Winterthurer.

Die Sammelleidenschaft war früh entfacht, bereits 1909 konnte Vallotton schreiben, die Flora sei im Begriff «ein wahres Museum» zu werden. In der Tat traten immer mehr Künstler in den Fokus der beiden Sammler: Neben den Nabis waren dies auch die Fauves um Henri Matisse mit Künstlern wie Albert Marquet und Henri Manguin, aber auch den Aussenseiter Odilon Redon schätzten sie sehr. Der Blick richtete sich alsbald auch auf den Impressionismus von Monet und Manet. In diesem Sinne begannen sie auch bald, Künstler, die sie als Wegbereiter verstanden, zu sammeln – auch wenn sie damals teuer waren – namentlich Vincent van Gogh, Paul Gauguin und Paul Cézanne.

Marthe, Bonnard, Hedy, Hans in Cannes

Marthe Bonnard und ihr Mann Pierre Bonnard, zusammen mit Hedy Hahnloser und ihrem Sohn Hans vor ihrer Villa Pauline in Cannes, 1923 oder 1924

Fotobearbeitung: Beat Loosli Solutions & Photos

Hedy Hahnloser hatte immer wieder mit ihrer Gesundheit zu kämpfen und litt an Tuberkulose. Die Luft und Wärme des Südens halfen ihr, und so erstanden die Hahnlosers nach dem Krieg ein Haus in Cannes, die Villa Pauline, wo sie fortan die Wintermonate verbrachten. Weil Südfrankreich – wohl nicht ganz zufällig – auch ein beliebtes Ziel vieler Maler war, bot dies die Gelegenheit, manche Kontakte und Freundschaften zu vertiefen.

Doch nicht nur die Malerei, sondern auch Bildhauerei und Druckgraphik wurde von Hedy und Arthur Hahnloser gesammelt. Allen voran war Aristide Maillol der Bildhauer, der von ihnen am meisten geschätzt und gekauft wurde. Sogar ihre Gartengestaltung planten sie um Werke von ihm. Daneben eröffnete die Graphik die Möglichkeit, den Blick auszudehnen und andere Künstler in den Blick zu nehmen: So erwarben sie zahlreiche Papierarbeiten von Maurice Denis, Raoul Dufy, Jean Puy, Maurice Utrillo und Georges Rouault – um nur einige zu nennen. Auch Schweizer und eine Künstlerin wurden immer wieder gekauft und damit unterstützt, etwa Cuno Amiet, Alice Bailly, René Auberjonois und Wilhelm Gimmi.

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Arthur und Hedy Hahnloser zusammen mit Henri und Jeanne Manguin

Das Besondere der Sammlung liegt nicht nur in der Qualität der Kunstwerke, sondern insbesondere auch im Wesen ihrer Entwicklung; sie entstand nämlich im direkten Austausch zwischen den Künstlern und dem Sammlerehepaar. Dies hat das Erscheinungsbild wesentlich geprägt. So wenig das Sammeln auf stilistische oder inhaltliche Merkmale zielte, so sehr besticht sie heute noch durch die umfassenden Werkgruppen verschiedener Künstler. Nicht das Repräsentative, sondern die Verbundenheit mit den Künstlern gab die Leitlinien vor. Einzelwerke eines Künstlers sind nicht zu finden – wenn sich Arthur und Hedy einmal für einen Künstler begeisterten, ihre Leidenschaft für ihn entdeckt hatten, blieben sie ihm und seinem Schaffen treu. Trotz und auch wegen ihres Feingefühls und Geschmacks liessen sie sich auch von den Künstlern leiten und zu neuem Sehen inspirieren.

1936 verstarb Arthur Hahnloser überraschend. Hedy Hahnloser pflegte danach ihre Künstlerfreundschaften weiterhin und förderte auch noch immer Schweizer Maler, doch die Sammlungstätigkeit stellte sie ein. Über die Jahre hinweg hatte das Ehepaar weit über tausend Werke gekauft – eine einzigartige Pioniersammlung der Moderne.

Epilog

Nach dem Tod von Hedy Hahnloser 1952 kümmerte sich ihre Tochter, Lisa Jäggli-Hahnloser, gemeinsam mit ihrem Mann um die Villa und die Gemälde und machte beides Interessierten zugänglich. Um die Sammlung vor dem Auseinanderfallen zu bewahren, gründeten die Nachkommen der Familie 1980 die Hahnloser/Jaeggli Stiftung. Bereits hegte man Pläne für ein Museum, was schliesslich 1995 in die Tat umgesetzt werden konnte. Fast zwanzig Jahre lang wurde die Villa Flora fortan vom Trägerverein Flora als professionelles Museum betrieben.

KMW Detail

Das Kunstmuseum Winterthur

2014 versagte der Stadtrat Winterthur die Subventionierung, und das Haus wurde geschlossen. Aus der Not wurde eine Tugend gemacht, und die Sammlung ging auf eine gefeierte Europa-Tour, die von der Hamburger Kunsthalle ins Musée Marmottan in Paris bis zur Wiener Albertina führte. Zwischenzeitlich wurde nach einer Lösung gesucht, während die Stiftungswerke für sechs Jahre im Kunstmuseum Bern zu Gast waren. Schliesslich kaufte der Kanton Zürich die Villa Flora und gab sie im Baurecht an die Stadt Winterthur ab. Eine Restaurierung und sanfte bauliche Erweiterung machten die Flora fit für die Zukunft. Im Rahmen des Winterthurer Museumskonzepts, das neben dem Kunstmuseum auch die Stiftung Oskar Reinhart umfasste, ist sie nun das dritte und jüngste Mitglied im Kunst Museum Winterthur.