Die Freundschaft mit Odilon Redon
In der Familie Hahnloser kursiert eine Anekdote über Hedys erste Begegnung mit Odilon Redon. Die Sammlerin war eine grosse Bewunderin des Franzosen und wollte ihn gerne kennenlernen. Weil seine Malerei auf sie stets einen so modernen und frischen Eindruck machte, hatte sie immer das Bild eines jungen, wilden Künstlers vor Augen. Als sie dann tatsächlich vor seiner Türe stand und ein 73-jähriger Mann mit weissem Bart – es war Odilon Redon – ihr öffnete, fragte sie, wo denn sein Sohn sei, sie suche diesen. Er antwortete cool: «Le peintre c’est moi».
Redon war ein sehr zurückhaltender Mensch und als Charakter nicht einfach zu fassen. So waren die Hahnlosers denn auch nicht im eigentlichen Sinne mit ihm befreundet, aber sie bauten im Verlauf der Jahre eine gewisse Beziehung zu ihm auf. Vor allem bewunderten sie stets sein Werk, kauft Arbeiten von ihm und verteidigten ihn, wo nötig, gegen Kritik.
1919, drei Jahre nach dem Tod von Redon, trugen Arthur Hahnloser und Richard Bühler massgeblich zu der ersten umfassenden Retrospektive des Künstlers bei, die im Kunstmuseum Winterthur stattfand. Camille Redon, die Witwe des Malers, reiste dafür an und wohnte eine Woche in der Villa Flora.
Hedy Hahnloser schrieb zu diesem Anlass im museumseigenen Heft Das Graphische Kabinett eine ausführliche Besprechung zu Redon, bei dem sie ihn als Graphiker würdigte. Sie betonte die Modernität Redons und beschrieb den damals wenig Verstandenen als «Miterschaffer und Mitträger des Geistes seiner Zeit».
Redons Werk ist zweigeteilt in eine erste Phase, in der er ausschliesslich schwarz-weisse Werke schuf, und eine zweite, bunte Periode. Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts gelang Redon der Durchbruch zur Farbe, die er bis zu seinem Lebensende zu immer kräftigerer Entfaltung brachte. Dies hatte wohl auch viel mit seinem privaten Umfeld zu tun. Sein neues, harmonisches Familienleben mit seiner Frau Camille und seinem Sohn Ari gaben ihm Zuversicht und Halt. Ebenso war die positive Resonanz jüngerer Künstler, insbesondere der Nabis, seinem Selbstvertrauen zuträglich. Maler wie Bonnard und Vuillard hatten Hochachtung für Redon und er wiederum schätzte ihre neue Malerei. So schrieb Bonnard 1912 in der Zeitschrift La Vie: «Ich habe die grösste Bewunderung für Odilon Redon. Was mich in seinem Werk am meisten beeindruckt, ist die Verbindung von zwei fast entgegengesetzten Qualitäten: die sehr reine bildnerische Materie und der sehr geheimnisvolle Ausdruck.»
1913 besassen die Hahnlosers bereits fünf Gemälde von Redon und erstanden bei einem Pariser Kunsthändler ein weiteres, das den Titel Le rêve oder La pensée trägt. Bald aber waren sie nicht mehr glücklich damit, und Hedy schrieb dies dem Künstler: «La Pensée leidet ein wenig unter dem Reichtum und der Fülle der 5 anderen. Aber ich würde das Bild dennoch nie aus der Hand geben, wenn ich nicht für diesen ‹Ton› in Ihrer Palette einen Ersatz erhielte. Ich benötige unbedingt diese Note, da sie die Umsetzung eines Gefühls Ihrer Imagination in die Form der menschlichen Figur oder zumindest in ein Phantom einer solchen Form darstellt.» Daraufhin antwortete die Frau des Künstlers, dass ihr Mann gerne das Bild von ihr überarbeiten würde, und dass er sich überhaupt sehr dafür interessiere, welche Bilder bei ihnen seien. Einmal, so Camille Redon weiter, habe er wegen Geldnot vorschnell viele Werke verkaufen müssen, die er eventuell noch habe überarbeiten wollen. Und so könne er sich gerne auch Le Rêve nochmals ansehen. Hedy und Arthur waren begeistert davon und schickten Fotos ihrer Sammlung, denn sie waren natürlich begierig darauf zu erfahren, was der Maler selbst von ihrer Auswahl der Kunst hielt, «die uns so sehr berührt». Redon, der sonst seine Frau in seinem Namen schreiben liess, antwortete persönlich und bot an, das Werk zu überarbeiten. Fünf Monate später konnte Hedy dem Maler den Empfang des veränderten Werkes bestätigen und schreiben: «Es wirkt tatsächlich viel besser».
Die Beziehung zwischen Redon und dem Ehepaar Hahnloser war nicht so eng wie zu anderen Künstlern. Dennoch zeigt gerade diese Geschichte, wie wichtig für Hedy und Arthur der persönliche Austausch mit den Kunstschaffenden war.
Übrigens
Der Brief von Odilon Redon an das Ehepaar Hahnloser ist der einzige erhaltene Originalbrief des Malers in Winterthur. Dieser ist umso wertvoller, als seine Handschrift im wahrsten Sinne des Wortes Zeugnis einer hochsensiblen Persönlichkeit ist.