Die Freundschaft mit Pierre Bonnard
Mit Pierre Bonnard verband das Ehepaar Hahnloser eine langjährige und sehr persönliche Freundschaft. Hedy und Arthur waren häufig in Paris und besuchten den Künstler in seinem Atelier, später trafen sie sich oft an der Côte d’Azur. Zusammen feierten sie Silvester, machten Spaziergänge und diskutierten über Kunst und Privates – Mit Bonnard und seiner Frau Marthe erlebten Arthur und Hedy viele frohe, aber auch einige schwierige Zeiten.
Das Ehepaar Hahnloser und Pierre Bonnard lernten sich vermutlich schon in den frühen Zehnerjahren durch Vallotton in Paris kennen, dann aber sicher besser 1916 in Winterthur kennen, als mit der «Ausstellung Französischer Malerei» die Eröffnung des neu gebauten Kunstmuseums Winterthur gefeiert wurde. Eine ganze Delegation der Pariser Kunstszene reiste zu diesem Anlass an, neben dem Kunsthändler Ambroise Vollard eben auch Pierre Bonnard. Zusammen mit weiteren Ehrengästen wurden sie in der Villa Flora untergebracht. Bonnard logierte im Zimmer der Tochter Lisa, die für diese Zeit mit einer Estrichmansarde Vorlieb nehmen musste. Hahnlosers legten grossen Wert auf Gastfreundschaft und verwöhnten ihre Gäste nach allen Regeln der Kunst. Dabei lernte man sich kennen und es entwickelte sich insbesondere zu Pierre Bonnard eine enge Freundschaft.
Der Künstler schrieb ihnen später: «Ich denke häufig mit Rührung an Ihr charmantes Interieur, in dem ich eine schöne Zeit verbrachte. Ich hoffe, es eines Tages wiederzufinden, doch das Leben ist augenblicklich so kompliziert, dass man sein Heim, in dem man es mehr oder weniger aushalten kann, nicht mehr zu verlassen wagt.» Das war 1918, und es herrschte immer noch Krieg.
Beim ersten Besuch Bonnards in Winterthur 1916 trat das Sammlerpaar mit einem grossen Auftragswunsch an den Künstler heran. Hahnlosers hatten bereits damals eine ansehnliche Gruppe mit Werken Bonnards aufgebaut und wollten diese unter anderem mit einer eigens für sie geschaffenen Ausmalung einer ganzen Zimmerwand erweitern. Der Franzose nahm den Auftrag an und führte ein riesiges Werk namens Été aus. Leider sucht man es heute in der Flora vergeblich, denn aufgrund eines Missverständnisses schuf Bonnard ein Gemälde in der falschen Grösse, das nie in der Flora installiert wurde.
Trotz dieses unglücklichen Ausgangs blieben sie in freundschaftlichen Kontakt, und ein reger Briefwechsel setzte ein. Sie tauschten sich dabei über alles Mögliche aus, über Kunst und Privates, über Essen und Reisen. Bonnard, der gerne und häufig unterwegs war, berichtete von seinem jeweiligen Aufenthalt und dem Wetter vor Ort.
Hahnlosers sammelten weiter die Kunst von Bonnard, neben Gemälden auch Graphiken, die bald dutzendweise in die Flora gelangten. Häufig waren es ihre in Paris ansässigen und im Kunsthandel versierten Künstlerfreunde Vallotton und Manguin, die Arbeiten von Bonnard für sie vermittelten oder in ihrem Auftrag kauften. So wurde schon das erste Gemälde Bonnards, das in die Villa Flora kam, von Félix Vallotton angekauft. 1909 erstand er in ihrem Auftrag am letzten Tag der Ausstellung bei Bernheim-Jeune das Gemälde L’Orage à Vernouillet von 1908. «Ich hoffe sehr, dass es Ihre Erwartungen nicht enttäuscht», schrieb er nach Winterthur, «und dass Sie daran uneingeschränkt Gefallen finden, sobald Sie sich an diese subtile Kunst gewöhnt haben.» Zwar brauchte es in der Tat ein wenig Zeit der Eingewöhnung, doch schon wenige Jahre danach waren die Hahnlosers so begeisterte Fans von Bonnard, dass sie Vallotton schrieben, er könnte Druckgraphik von ihm ohne Rücksprache einkaufen, «auch Dubletten, Bühler nimmt gerne den Rest». Offenbar hatten sie mittlerweile auch Richard Bühler angesteckt.
Später gehörte das Ehepaar Hahnloser zu den ersten, die Bonnards neuesten Bilder zu sehen bekamen: «Jedes Frühjahr, wenn er die Kollektion zusammenstellte, die er in der jährlichen Präsentation bei seinem Händler vorzeigte, durften wir den Gesamtüberblick haben und das Ganze nach Herzenslust studieren. Dies war le jour du vernissage des Hahnloser», berichtete Hedy Hahnloser.
Häufig waren Hedy und Arthur auch in Bonnards Pariser Atelier zu Gast und konnten dem Künstler über die Schultern schauen. «An den Wänden waren Leinwände aller Formate mit Reissnägeln angeheftet», beschrieb Hedy das Studio. «Nicht bloss ungleich an Grösse, vor allem ganz unordentlich und ungeometrisch geschnitten, was beim späteren Einrahmen grosse Schwierigkeiten bot. Es gab Bilder, die nur dadurch ins Rechteck gebracht werden konnten, indem ich mit der Nähmaschine den fehlenden Streifen ansetzte. […] Neben- und übereinander hingen die verschiedenen Motive. Ganz dunkle, trübgestimmte Landschaften neben Stillleben in hellstem Sonnenlicht, Kompositionen mit kleinen Figuren gleich neben einem grossformatigen Portraitkopf.»
In den 1920er- und 1930er-Jahren, nachdem Hahnlosers ihre Villa Pauline in der Nähe von Cannes gekauft hatten, verbrachten sie viel Zeit – meist die Winter – an der Côte d’Azur. Bonnard und seine Lebensgefährtin Marthe waren ihrerseits häufig im Süden Frankreichs unterwegs, lebten zunächst in verschiedenen gemieteten Villen, bis sie sich 1925 in Le Cannet in der Nähe von Cannes ein Haus kauften. So sahen sie sich regelmässig, man ass zusammen und unternahm Ausflüge. Für Bonnard waren diese Besuche eine willkommene Abwechslung, denn seine Frau Marthe litt zusehends unter psychischen und physischen Problemen, die immer weniger soziale Kontakte ermöglichten. Der ruhige und besonnene Arthur bot dem Malerfreund seinen ärztlichen Rat an und führte mit ihm viele Gespräche über den Gesundheitszustand von Marthe – und Pierres eigenes seelisches Befinden. Wie wir aus Hedys Notizen wissen, hat Bonnard die Einweisung Marthes in ein Sanatorium jedoch stets in letzter Minute verhindert. Die Gründe dafür kannte nur er.
So haben die Hahnlosers und Bonnard viel zusammen erlebt, viel Schönes, aber auch Trauriges. Wir wissen von dem schrecklichen Selbstmord einer kurzzeitigen Geliebten von Bonnard und von seiner heimlichen Hochzeit mit Marthe, zu der niemand eingeladen wurde. Sie feierten aber auch zusammen Feste, und Fotos zeigen, wie sie zusammen Schlitten fuhren. Höhen und Tiefen – eine echte Freundschaft.